"Religionen sind nicht die Wurzel allen Übels, aber sie haben dazu beigetragen, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Unmenschlichkeit war". Mit dieser provokanten These stieg
Michael Schmidt-Salomon in die Debatte ein. "Deutschlands Chef-Atheist" (so Der Spiegel) war erster Pro-Sprecher zur Frage "Leben wir ohne Religion(en) besser?" bei der Dritten Bayreuther Debatte, zu der der VDCH-Club
Akademie für politisch-institutionelle Konfliktsimulation (AKPIKS) illustre Gäste geladen hatte. Religionskritiker und Religionsbefürworter traten jeweils zu dritt an. Jeder Redner durfte acht Minuten lang reden, Zwischenfragen und -rufe gab es nicht.
Das führte leider dazu, dass die Reden recht statisch waren; wenig gingen die Redner aufeinander ein. Trotzdem: Dass die Debatte überhaupt so stattfand, wertete Schmidt-Salomon, der sich selbst gar nicht als Atheist bezeichnet sondern als "Naturalist", schonmal als Erfolg: "Wer hätte gedacht, dass sich mal ein echter amtlicher Erzbischof freiwillig öffentlich mit Religionskritikern auseinandersetzt?", sagte er in seiner Rede. Die meisten Christen seien gar keine, postulierte er; wenn man mal die grundlegenden Glaubenssätze abfrage, bekäme man Zustimmungswerte um die dreißig Prozent. Dann zählte er eine Reihe von Verbrechen auf, die er auf die ein oder andere Weise dem Christentum zuschrieb: Antisemitismus, Kriege, Ausgrenzung von Homosexuellen… Fazit in seiner Rede jedenfalls: Ja,ohne Religion lässt's sich besser leben – aber damit das für alle gilt, ist noch eine Menge Aufklärung nötig. (Heißt das nun, dass es sich ohne diese Aufklärung im Moment vielleicht doch mit Religion(en) ganz gut leben lässt?) Erst später im Gespräch im kleinen Kreis bekannte der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung differenzierter: "Die Religionen sind die kulturellen Schatzkammern der Menschheit"; man müsse aber eben das Sinnvolle vom Menschenverachtenden trennen. (So ein Satz hätte auch der Debatte nicht geschadet – und dann noch eine Auseinandersetzung damit, was denn nun das Sinnvolle sei, das suchte man in der Rede nämlich vergebens.)
Auf der Gegenseite sprach der Erzbischof von Bamberg,
Ludwig Schick. Er füllte seine Redezeit nicht ganz und konzentrierte sich auf das Christentum; er wolle nicht allgemein über Religionen reden, das sei ihm zu unkonkret, vielmehr vertrete er das Christentum und stelle daher auch Jesus Christus in die Mitte. Der Bischof sprach darüber, dass sich mit Christus ein menschenfreundlicher Gott offenbart habe, der Menschen Heilung und Gefangenen Befreiung bringe und der sich für Wahrheit und Recht einsetze. Schick argumentierte, die Christen hätten die griechische und römische Kultur in unsere Zeit weitergetragen (Aha! Interessant! Da fragt man sich doch, warum uns in der Schule immer diese Geschichte mit dem Umweg über die Bibliotheken in islamisch geprägten Ländern erzählt wird…) und in Kindergärten, Schulen, im ganzen Sozialsystem sehe man Christen, die Gutes tun. Auch seien Christen in Konzentrationslagern gestorben, hätten Widerstand gegen Hitler geleistet usw. Erzbischöfliches Fazit nch sechs von acht Minuten: Religion macht Leben und Sterben erfüllender.
Schmidt-Salomon trat gemeinsam mit
Mina Ahadi an, einer Exil-Iranerin, die in ihrer Rede endgültig vom eigentlichen Thema wegführte und vor allem ihre eigene Lebenserfahrung theamtisierte. Der (politisch-instrumentalisierte) Islam im Iran habe ihr den Mann genommen, ihre Mutter einsam gemacht, steinige Frauen… Das Fazit der Vorsitzenden des Zentralrats der Ex-Muslime: "Ich hasse Religion!" Sie fordert weniger Geduld und "falsch verstandene Toleranz" gegenüber Religionen, die Verbrecherisches anrichten. (Nun, sind es die Religionen? Oder sind es verbrecherische Regime, die Religion zur Begründung für ihr tun missbrauchen?)
Auf der Seite der Religionsfreunde war als zweite Rednerin eine gläubige Muslima an der Reihe: Die Islamwissenschaftlerin
Rabeya Müller. (Sie trug ein Kopftuch; verwehrte sich aber gegen eine Diskussion der "K-Frage", das seien Äußerlichkeiten. Nun, wäre das Kopftuch nur eine Äußerlichkeit für sie, dann trüge sie es kaum aus religiöser Überzeugung. Das tat sie aber offenbar: Zum Headset-Aufsetzen bestand sie auf Privatsphäre und zog sich alleine zurück, um ihr Kopftuch nicht vor anderen zu lüften.) Müller ging (etwas spät in der Debatte) auf Schmidt-Salomon ein und betonte, die Abwesenheit von Religion führe nicht zur Abwesenheit von Gewalt. Schließlich hätten auch Atheisten abscheuliche Verbrechen begangen, man denke nur an die Jakobiner, Hitler und Stalin.
Die Schlussreden: Auf der Seite der Religionskritiker gehalten von
Paul Schulz, der als "Hamburger Kirchenrebell" bekannt ist. Er verlas ein Manifest, in dem er dazu aufforderte, sich von der Fremdherrschaft durch Götter frei zu machen und die Zuhörer mit seiner Wahrheit konfrontierte: "Es hilft Ihnen kein Gott – weder in Haiti noch sonstwo". Auf der Seite der Religionen trat die ehemalige Bundesministerin
Andrea Fischer (Bündnis 90 / Die Grünen), Unterstützerin der Initiative "Pro Reli" in Berlin, an, die sich wieder darauf konzentrierte, davon zu berichten, was Religion für sie persönlich in ihrem Leben bedeute: Liebe empfangen und geben können. Außerdem legte sie Wert darauf, dass auch sie (wie alle Redner/innen der Debatte) für eine Trennung von Politik und Religion eintrete. Sie selbt habe nämlich da und dort Probleme mit ihrer Kirche, so die Katholikin, zum Beispiel wenn es um die Ehe für Homosexuelle gehe. Aber letztlich entscheide das ja dann nicht nicht Kirche.
Für die gut besuchte und gut organisierte Veranstaltung zeichnete
Steffen Hahn vom AKPIKS verantwortlich, moderiert wurde sie von VDCH-Präsident
Tim Richter, der das traurige Los vieler Moderatoren teilte, am Besten vorbereitet zu sein und am Wenigsten sagen zu dürfen. Das Audimax der Bayreuther Universität war gut gefüllt (der ein oder andere Debattant erinnert sich an das Audimax: Themenverkündungsraum bei der DDM 2007). Das Publikum war bunt gemischt: Neben vielen Studenten waren auch zahlreiche Menschen jeden Alters aus der Bayreuther Bevölkerung gekommen. Für den Bischof schien gar ein kleiner "Fanclub" gekommen zu sein, eine Dame bat seine Exzellenz nach der Debatte um ein Autogramm.